Ein Foltergerät, das keines ist: die Hechel

17. November 2021 | Sammlung

Verfasserin: Andrea Rüfenacht, Bildung und Vermittlung Schloss Burgdorf

Die Kulturtechnik des Hechelns ist bereits mehrere tausend Jahre alt. Es handelt sich um einen wichtigen Schritt in der Verarbeitung von Naturfasern wie Flachs, Hanf, Jute oder Kokos. Diese Tätigkeit zerteilt die Pflanzenfasern, löst die übriggebliebenen Stängel (Dingel) und trennt die kurzen von den langen Fasern. Der Flachs wurde bedachtsam nur so weit durchgezogen, bis er stecken blieb. Dann wurde er zwischen den Zähnen hochgehoben und erneut durchgezogen. Kurz gesagt säubert und ordnet das Hecheln Fasern wie den Flachs, so dass er zum Spinnen parat ist. Dazu wird ein Werkzeug namens Hechel benötigt, welches eine Art Kamm mit Holzfassung und etlichen Metallzähnen ist. Dem Aussehen nach könnte es auch das Werkzeug eines Fakirs sein. Laut dem Duden stammt das mittelhochdeutsche Wort «Hechel» ursprünglich von Haken und Spitze.

 

Im Besitz des Rittersaalvereins sind laut Datenbank 15 Hecheln. Wo Jahrzahlen bekannt sind, handelt es sich um Objekte aus dem 18. Jahrhundert. Zwei davon stammen aus der jüngeren Steinzeit (Neolithikum) und sind nur noch als Fragmente erhalten. Vorhanden sind davon nur noch die Hechelzähne aus Knochen.

Die Form der Hecheln ist in den allermeisten Fällen gleich: ein Holzbrett mit Metallzähnen unterschiedlicher Anzahl von um die 9-17cm Länge. Ein paar beinhalten eine Messingplatte, haben einen Blechbeschlag oder sind mit Eisen verstärkt. Praktisch alle Hecheln haben einen Deckel aus Holz. Zwei der Werkzeuge sind auf ein Holzbrett geschraubt und eins hat die Form, welche am einfachsten als Striegel für Katzen oder Hunde zu beschreiben ist. Eine der Hecheln ist momentan neben über 100 anderen Exponaten in der Wunderkammer Waffen auf Schloss Burgdorf ausgestellt. Nicht zu unrecht. Wer beim Hecheln nicht aufpasst, verletzt sich leicht an den scharfen Metallspitzen.

Vor allem wurde die Hechel für die Flachsverarbeitung, also für die Leinenherstellung, benutzt. Zu Unrecht wird oft angenommen, dass Kleidung aus Schafwolle schon vor Leinenkleidung getragen wurde, da die Verarbeitung von Wolle viel simpler ist als die aus unzähligen hochkomplexen Schritten bestehende Leinenstoffproduktion. Interessanterweise hat man aber bereits Flachs verarbeitet, noch bevor die Wolle des Hausschafes verwendet werden konnte. Im Neolithikum, in welche zeitlich die Kulturtechnik des Hechelns einzuordnen ist, hatten nämlich die vom Mufflon abstammenden Schafe nur ein Haarkleid mit kurzer Unterwolle.

Die Textilindustrie war die erste Industrie in der Schweiz. Dadurch nahm alles, was mit Textilien zu tun hatte, auch auf unsere Sprache grossen Einfluss. Zum Thema Flachs sind das zum Beispiel Redensarten wie «jemanden durchhecheln», «jemanden abflachsen», «mit jemandem (herum)flachsen», «es Chuderluuri», «rätsche», «etwas einbläuen», «schäbig», «sich verhaspeln», «etwas anzetteln», «sich verzetteln» und viele mehr.* Ihre Bedeutung ist oft nicht mehr geläufig, genauso wenig wie die teilweise korrespondierenden Kulturtechniken. Unserer Sprache bleiben die Redensarten aber wohl noch etwas erhalten.

 

*1) Über jemanden herziehen, 2) schlagen/peitschen/durchprügeln (scherzhaft), 3) scherzen, sich necken, 4) Person mit struppigem Haar/verworren, unordentlich, 5) jemanden verpetzen, 6) etwas einprügeln, 7) armselig, dürftig, gemein…, 8) sich versprechen/verwickeln beim Sprechen, 9) im geheimen vorbereiten/anstiften, 10) den Überblick verlieren/mehrere Sachen anfangen und dabei durcheinandergeraten.

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