Als ich beim Verfassen der Kurzbeschreibung die kleine Silberschale etwas genauer betrachtete, kam mir das im Schaleninnern eingravierte Wappen gleich bekannt vor. Eine Nachschlagung in der Familienwappensammlung des Staatsarchivs Bern und ein Besuch im Burgerarchiv Burgdorf bestätigten meine Vermutung: es handelt sich um das Wappen der seit Beginn des 17. Jahrhunderts bis 1784 in unserer Stadt lebenden Familie Rüthi. Wie der Name verrät, haben sich Vorfahren der Familie mit Brandrodungen und mit der Urbarisierung von Waldflächen befasst: das Wappen zeigt drei brennende Baumstrünke. Das gravierte Wappen weist auf den Auftraggeber der Silberschale oder einen damit Beschenkten hin.
Im Staate Bern konnte (und kann) sich auch der einfache Bürger ein Familienwappen nach Wahl zulegen, das ihm zum Beispiel zur Eigentumskennzeichnung dient. Wenn in der Stadt einst mehrere Personen mit gleichem Familiennamen gleichzeitig in einer Behörde oder Zunftorganisation sassen, benutzten sie zur Unterscheidbarkeit häufig verschiedene Wappenvarianten oder verwendeten sogar ganz anders gestaltete Wappenversionen.
Der aus Ersigen stammende Hans Rüti (Rüthi) wirkte als Wirt der Kreuzwirtschaft neben dem alten Rathaus in Burgdorf und wurde 1606 in unserer Stadt eingeburgert. Später wurden auch seine erwachsenen Söhne aus erster Ehe, Konrad und Peter, in die hiesige Burgerschaft aufgenommen. Peter Rüthi (um 1595-1658) war als ausgebildeter Handwerksarzt Chirurg und «Balbierer». Chronist J. R. Aeschlimann bezeichnet ihn als berühmten Augenarzt (Oculist), Stein- und Bruchschneider. In zweiter Ehe heiratete er 1629 die einheimische Barbara Dür. 1641 in den Kleinen Rat gewählt, wirkte er als Oberspitalvogt, Schaffner und Grasswilvogt. Es existierten somit verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Familien Dür und Rüthi. Hat die Silberschale allenfalls etwas mit Peter Rüthis augenärztlicher Tätigkeit zu tun? Wir wissen es nicht.
Im 18. Jahrhundert wirkten Enkel und Urenkel des Augenarztes während Jahrzehnten als geschätzte Stadtschreiber von Burgdorf. Die beiden Notare Samuel Rüthi sen. und Samuel Rüthi jun. waren äusserst gebildete Menschen. Sie schenkten der 1729 gegründeten Stadtbibliothek insgesamt 350 Bücher aus den Sparten Theologie, Justiz, Politik, Medizin, Philosophie, Mathematik, Geschichte und Vermischtes.