Die 4 cm hohe Silberschale mit einem Durchmesser von 13 cm ist im Schaleninnern, am oberen Rand und an den Henkeln vergoldet. Auf der Unterseite sind die Meistermarke und das Beschauzeichen Burgdorf (Stadtwappen) angebracht. D.h. das Stück wurde von einer Burgdorfer Zunftbehörde auf seinen Feingehalt hin geprüft. Auf dem ovalen Boden ist innen ein gut erhaltenes Wappen eingraviert. Auf den Rundungen der Seitenwände sind aussen zwei kaum noch erkennbare Familienwappen zu erahnen. Unter dem einen steht die Jahrzahl 1648. Es könnte es sich um das Wappen des damaligen Schalenbesitzers handeln. Im Bericht zum Erwerb der Schale steht im Burgdorfer Jahrbuch 1989: «Der Meister ist noch nicht identifiziert, zu bestimmen bleiben ferner die Wappen und Auftraggeber.»
Einem Rätsel auf der Spur
15. Februar 2022 | Sammlung
Verfasserin: Trudi Aeschlimann, Sammlungsverantwortliche des Rittersaalvereins
Auf der Webseite des Rittersaalvereins sind Informationen über den Verein, seine Geschichte, seine Aktivitäten und seine Sammlung sowie Angaben zum Schloss samt Museum zu finden. Für die Rubrik «Sammlung online» wurden einige Objekte aus der Sammlung neu fotografiert und mit einer kurzen Objektbeschreibung vorgestellt. Beim Verfassen dieser Texte bin ich auf ungelöste Rätsel gestossen; so auf Fragen rund um eine kleine Silberschale, die ein Burgdorfer Kunstschmied um 1648 geschaffen hat und die der Rittersaalverein dank einer Spende zu seinem 100-Jahr-Jubiläum 1986 erwerben konnte (Inventarnummer RS-5.196).
Häufig enthalten Meistermarken die Anfangsbuchstaben von Tauf- und Familiennamen des Handwerkers, manchmal sind die Buchstaben dabei als Ligatur dargestellt. Beim Erwerb der Silberschale las man die Meistermarke als «HV». In der Mitte des 17. Jahrhunderts existierten in Burgdorf die Burgergeschlechter Venner, Vetter und Vögeli. Doch es sind uns keine Metallhandwerker mit diesen Familiennamen bekannt. Die Meistermarke könnte man aber auch als «HD» interpretieren. Da kommt ein sehr prominenter Vertreter in Frage: der Unternehmer, Büchsen- und Goldschmied Heinrich Dür (1591-1659). 1625 wurde er in den Kleinen Rat gewählt und wirkte dann als Burgermeister, Lotzwilvogt, Oberspitalvogt und schliesslich von 1642 bis1659 als Venner unserer Stadt. Beim Bau des neuen Zunfthauses der Gesellschaft zu Schmieden und Zimmerleuten am Kirchbühl 22 im Jahr 1638 hatte er das Amt eines Vorstehers dieser Zunft inne. Heinrich Dür äufnete das 1645 vom Leinwandherr und Venner Jakob Trechsel (1578-1645) gestiftete allgemeine Stipendium für studierende Burgersöhne um 180 Kronen. Von Goldschmied Heinrich Dür und seinem Sohn gleichen Namens und Berufs (1633-1679) sind verschiedene Werkstücke nachgewiesen.
Als ich beim Verfassen der Kurzbeschreibung die kleine Silberschale etwas genauer betrachtete, kam mir das im Schaleninnern eingravierte Wappen gleich bekannt vor. Eine Nachschlagung in der Familienwappensammlung des Staatsarchivs Bern und ein Besuch im Burgerarchiv Burgdorf bestätigten meine Vermutung: es handelt sich um das Wappen der seit Beginn des 17. Jahrhunderts bis 1784 in unserer Stadt lebenden Familie Rüthi. Wie der Name verrät, haben sich Vorfahren der Familie mit Brandrodungen und mit der Urbarisierung von Waldflächen befasst: das Wappen zeigt drei brennende Baumstrünke. Das gravierte Wappen weist auf den Auftraggeber der Silberschale oder einen damit Beschenkten hin.
Im Staate Bern konnte (und kann) sich auch der einfache Bürger ein Familienwappen nach Wahl zulegen, das ihm zum Beispiel zur Eigentumskennzeichnung dient. Wenn in der Stadt einst mehrere Personen mit gleichem Familiennamen gleichzeitig in einer Behörde oder Zunftorganisation sassen, benutzten sie zur Unterscheidbarkeit häufig verschiedene Wappenvarianten oder verwendeten sogar ganz anders gestaltete Wappenversionen.
Der aus Ersigen stammende Hans Rüti (Rüthi) wirkte als Wirt der Kreuzwirtschaft neben dem alten Rathaus in Burgdorf und wurde 1606 in unserer Stadt eingeburgert. Später wurden auch seine erwachsenen Söhne aus erster Ehe, Konrad und Peter, in die hiesige Burgerschaft aufgenommen. Peter Rüthi (um 1595-1658) war als ausgebildeter Handwerksarzt Chirurg und «Balbierer». Chronist J. R. Aeschlimann bezeichnet ihn als berühmten Augenarzt (Oculist), Stein- und Bruchschneider. In zweiter Ehe heiratete er 1629 die einheimische Barbara Dür. 1641 in den Kleinen Rat gewählt, wirkte er als Oberspitalvogt, Schaffner und Grasswilvogt. Es existierten somit verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Familien Dür und Rüthi. Hat die Silberschale allenfalls etwas mit Peter Rüthis augenärztlicher Tätigkeit zu tun? Wir wissen es nicht.
Im 18. Jahrhundert wirkten Enkel und Urenkel des Augenarztes während Jahrzehnten als geschätzte Stadtschreiber von Burgdorf. Die beiden Notare Samuel Rüthi sen. und Samuel Rüthi jun. waren äusserst gebildete Menschen. Sie schenkten der 1729 gegründeten Stadtbibliothek insgesamt 350 Bücher aus den Sparten Theologie, Justiz, Politik, Medizin, Philosophie, Mathematik, Geschichte und Vermischtes.
Auf den Seitenwänden der Silberschale sind aussen zwei weitere Wappen eingraviert, vielleicht die Wappen von späteren Schalenbesitzern. Das Wappen mit drei Sternen um einen Winkel hat Ähnlichkeit mit demjenigen von Chirurg Johannes Appenzeller († 1693), ursprünglich aus Ursenbach stammend. Er heiratete1650 Verena Rüthi, die Tochter des Augenarztes. Allerdings stehen über dem Wappen die Buchstaben C und L. Falls es sich dabei um die Initialen eines Burgdorfer Burgers handelt, kommt in dieser Zeit eigentlich nur der Notar Conrad Lyoth-Schwarzwald (1586-1643) in Frage. Das heute verwendete Lyoth-Wappen sieht aber anders aus. Das zweite Wappen ist ziemlich abgerieben und lässt bloss noch eine Tierfigur und eine heraldische Lilie erahnen. Die bekrönende Frauenfigur trägt in jeder Hand ebenfalls eine Lilie. Links und rechts stehen die Buchstaben L und G. Das würde z.B. auf einen Ludwig Grieb passen. Unter dem nicht identifizierten Wappen ist die Jahrzahl 1648 eingraviert, d.h. der Führer dieses Wappens kam wohl damals in den Besitz des Objektes. Die Silberschale ist vermutlich schon einige Jahre früher entstanden, zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges, als in der Schweiz Handel und Kunsthandwerk blühten.